Im Berliner Regierungsviertel steht seit vergangenem Mittwoch ein Denkmal für die von den Deutschen im Nationalsozialismus getöteten Sinti und Roma. 67 Jahre nach Kriegsende und dem Ende der NS-Herrschaft gibt es nun einen Ort des Gedenkens an die Opfer. Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Vorsitzende des Zentralrates der Sinti und Roma in Deutschland, Romani Rose, übergaben das Denkmal in einem Festakt der Öffentlichkeit.
Das längst überfällige Denkmal für die Sinti und Roma gestaltete sich als ein mühsames Projekt und so kommt es zwar spät, aber doch zur rechten Zeit. Spät kommt das Denkmal insofern, als die deutsche Erinnerung an die von den Nazis ermordeten Sinti und Roma jener an die Schoah geradezu skandalös hinterherhinkt. Denn es dauerte bis zum Jahr 1982, als mit Helmut Schmidt ein deutscher Bundeskanzler mit Blick auf die 500.000 in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten getöteten Sinti und Roma erstmals von Völkermord sprach. Es war, als müsste diese Minderheit überhaupt erst einmal nachweisen, dass auch sie gelitten hatte – es war wie eine zweite Diskriminierung. Entsprechend mühsam gestaltete sich dann auch die Debatte darüber, ob den Sinti und Roma – wie den ermordeten Juden und den verfolgten Homosexuellen – ein eigenes Denkmal gewidmet werden sollte. Das böse Wort von der Opferkonkurrenz machte seinerzeit die Runde. Schließlich erfolgte dann noch eine langwierige Suche nach dem geeigneten Standort.
Abseits aller unrühmlichen Diskussionen und verspäteten Schuldeingeständnisse gilt es indes zu bedenken, dass ein solches Denkmal seinen Sinn nur dann erfüllen kann, wenn es nicht nur einen kurzen Moment der Betroffenheit auslöst, sondern auch einen Moment der Reflexion. Erinnerung kann und muss eine Brücke schlagen – aus der Vergangenheit in die Gegenwart und Zukunft. Es bleibt, nicht nur an uns Deutsche, aber vor allem an uns, die Frage nach dem Warum, es bleibt die Frage, wie es möglich sein konnte, dass in den Zeiten des Nationalsozialismus bei Vielen nicht nur der Verstand, sondern auch die einfachsten Regungen des Mitgefühls aussetzten, so dass unzählig viele Menschen schlimmer als Vieh behandelt wurden.
Diskriminierung von Minderheiten gibt es auch heute noch
Und diese Frage stellt sich keineswegs nur mit Blick in die Vergangenheit. Offene und versteckte Diskriminierung gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen gibt es bis heute, gerade auch gegenüber Sinti und Roma. Die in der deutschstämmigen Durchschnittsbevölkerung nach wie vor verbreitete und ganz unbefangene Verachtung gegenüber dieser Minderheit, die Neigung von manchen (Provinz-)Politikern, auf ihrem Rücken in Wahlkampfzeiten forsch den Kampf gegen angeblichen „Asylmissbrauch“ zu führen – all dies hat wesentlich auch mit der jahrzehntelangen Weigerung zu tun, in dieser Hinsicht historische Schuld einzugestehen.
Mit dem Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma schließt sich ohne Frage eine Lücke der deutschen Erinnerungskultur, die allerdings beim bloßen Erinnern nicht stehen bleiben darf. Eine Haltung, wie sie gegenüber dieser Minderheit vielerorts immer noch besteht, ist, wenn es um Juden geht, inzwischen weithin unmöglich geworden – zumindest in der Form öffentlich getaner Äußerung.
Ein Signal auch für Europa
Daher kommt das neue Berliner Denkmal doch noch rechtzeitig. Es wird in einer Situation eingeweiht, da Sinti und Roma in Ost- und Südosteuropa – immerhin auch in EU- oder für den EU-Beitritt gehandelten Ländern – in einem Klima zunehmender rassistischer Aggression und soziokultureller Ausgrenzung leben müssen, das niedrigsten Standards der Menschenrechte widerspricht. Das Maß dieser Ausgrenzung übertrifft die alltägliche Diskriminierung in Staaten wie Deutschland und Frankreich bei weitem.
Insofern könnte von dem neuen Berliner Denkmal ein Signal nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa ausgehen: Welchen Wert hat ein Gedenken an die Toten, wenn es sich nicht an deren lebenden Nachfahren bewährt? Wie steht es um die vielzitierte europäische Einheit in der Vielfalt, wenn Minderheiten ausgegrenzt werden? Freilich können eindrucksvolle und gelungene Mahnmale alleine nicht eine bestimmte Art des Umgangs mit Minderheiten erzwingen. Mahnmale, auch das für die ermordeten Sinti und Roma, dürfen nicht Anlass für abgehobene Sonntagsreden und moralische Pflichtübungen werden. Jeder von uns ist aufgerufen, dies abzuwenden.
kath.de-Redaktion